Gesetzgeber beabsichtigt erneute Änderung der Einziehungsregelungen für Steuerstraftaten - Teil 2
Es bleibt leider dabei, gute Gesetzgebung sieht anders aus. Der Titel der Sommer- Novelle war irreführend: durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz wurde u.a. - wie zuletzt an dieser Stelle berichtet - kurzerhand die Grenze der absoluten Verjährung in Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung von zwanzig auf fünfundzwanzig Jahre angehoben (§ 376 AO) [https://www.klinkert.pro/aktuelles/wirtschaftsstrafrecht-aktuell-cumex-taten-sollen-kuenftig-dreissig-jahre-lang-verfolgt-werden-koennen/]. Keine Änderung trat durch die Regelung bezüglich der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung ein, welche aktuell bei der besonders schweren Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 6 AO bei 10 Jahren liegt (vgl. § 376 Abs.1 S. 1 AO).
Nachdem im Sommer in puncto Einziehung noch das rechtsstaatliche Verbot der Rückwirkung von Gesetzen hochgehalten wurde, muss nun der Gesetzgeber auf öffentlichen Druck nach der erfolgten Einführung des § 375a AO nochmals „nachbessern“. Mit dieser Vorschrift war die strafrechtliche Einziehung von Taterträgen (§§ 73-73c StGB) ermöglicht worden, auch wenn der Anspruch aus dem zugrundeliegenden Steuerschuldverhältnis bereits wegen Verjährung erloschen war. Doch es gab einen „rechtsstaatlichen Haken“: die versteckte - und von der Presse „entdeckte“ - Anwendungsvorschrift des Art. 97 § 34 EGAO schloss die neue Einziehungsmöglichkeit trotz erloschenen Steueranspruchs für die Taterträge solcher Steuerstraftaten aus, deren zugrundeliegender Steueranspruch vor der Gesetzesänderung am 1. Juli 2020 bereits verjährt war.
Der Aufschrei war groß, die Einschränkung bescherte der Regelung in der Presse den Namen „Lex Cum-Ex“, man witterte, hier sollten reiche Straftäter geschützt werden, weil möglicherweise Steueransprüche nicht weniger Cum/Ex-Sachverhalte verjährt gewesen wären.
Nun soll erneut öffentlichem Druck nachgegeben werden.
Von Seiten der Justizministerin wurde noch vor kurzem angekündigt, die Vorschriften rückwirkend bereits mit dem diesjährigen Jahressteuergesetz und nicht erst mit der für 2021 geplanten Reform der Strafprozessordnung zu ändern. Bislang enthält der Entwurf des diesjährigen Jahressteuergesetzes vom 2. September 2020 die angekündigten Nachbesserungen jedoch nicht. Vielmehr sieht der aktuelle Referentenentwurf des sogenannten „Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 15. Oktober 2020 eine kleine, aber doch enorm bedeutende, Ergänzung des § 73e Abs. 1 StGB vor. Der Norm, die eine Einziehung ausschließt, wenn der zugrundeliegende Anspruch erloschen ist, soll folgender Satz angefügt werden: „Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind.“ Begründet wird dies damit, dass der Tatbeteiligte durch den Ausschluss der Einziehung nicht in ungerechtfertigter Weise begünstigt werden solle, schließlich bestünde die Gefahr der Doppelbelastung nicht, wenn der Anspruch des Verletzten nicht durch eine Wiedergutmachungsleistung oder eine Verfügung des Verletzten über seinen Anspruch erloschen sei, sondern durch Verjährung, wie dies bei steuerrechtlichen Ansprüchen der Fall sei.
Um dann auch eine rückwirkende Einziehung zu ermöglichen, sieht der Referentenentwurf eine dementsprechende Anpassung des Art. 316 EGStGB vor. Danach soll bei Entscheidung über eine Einziehung von Taterträgen wegen einer Tat, die vor dem Inkrafttreten des geplanten Gesetzes begangen wurde, abweichend von § 2 Abs. 5 StGB, die dann geänderte Fassung des § 73e Abs. 1 StGB gelten. Dies führt im Ergebnis dazu, dass das Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB ausgehebelt wird. Eine Kollision mit dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Rückwirkungsverbots wird durch den Referentenentwurf des Gesetzes nicht gesehen, schließlich würde den Vorschriften der Vermögensabschöpfung kein Strafcharakter zukommen. Wenn man allein die einschneidende Wirkung dieser Normen betrachtet, erscheint das bereits fraglich. Weiter heißt es dann, dass die Rückwirkung im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG durch gewichtige Allgemeinwohlinteressen sachlich gerechtfertigt sei, schließlich stünde dem auch kein hinreichend schützenswertes Vertrauen des Betroffenen entgegen. Nur weil der zugrundeliegende Anspruch verjährt sei, solle kein Vertrauen auf den Fortbestand einer deliktisch geschaffenen Vermögenslage in Hinblick auf die strafrechtlichen Rechtsfolgen begründet werden.
Folge dieser beabsichtigten Neuregelung für die besagten Cum/Ex-Sachverhalte ist, dass eine Einziehung im Rahmen eines Strafverfahrens nach §§ 73-73c StGB auch bei verjährtem zugrundeliegendem steuerlichen Anspruch möglich ist. Sollte die Tat auch bereits strafrechtlich verjährt sein, ist nach § 76a Abs. 2 StGB im Wege der selbstständigen Einziehung nach § 76a Abs. 1 StGB die Einziehung von Taterträgen möglich, auch wenn sowohl die zugrundeliegende Straftat, als auch der zugrundeliegende steuerliche Anspruch verjährt sind. Tatsächlich hieße dies, dass, bedingt durch die selbständige Einziehung bei strafrechtlich verjährter Tat, über den Betroffenen das Damokles-Schwert der Einziehung bis auf weiteres schwebt, da es keine Verjährungsgrenze mehr für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gäbe.
Ob diese beabsichtigten Änderungen nun eins zu eins lediglich ins Jahressteuergesetz überführt werden, oder ob es zu einer isolierten, umfassenden Änderung kommt, wie dies Nordrhein-Westfalen mit seinem aktuellen Gesetzesantrag zum „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der besonders schweren Steuerhinterziehung“ vom 7. Oktober 2020, anstrebt, bleibt offen. Klar ist, dass die Cum/Ex-Sachverhalte der Vergangenheit aufgrund der vereinzelt drohenden Verjährungen zum Jahresende zu einem regelrechten Aufschrei in Politik und Presse geführt haben. Der aktuelle Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen geht in diesem Zuge sogar noch weiter. Dieser beabsichtigt, über eine Modifikation der bisherigen Neuerungen hinaus, die Anhebung der strafrechtlichen Verjährungsfrist für die besonders schwere Steuerhinterziehung von 10 auf 15 Jahren. Begründet wird dies damit, dass aufgrund der „hochprofessionellen und konspirativen Zusammenarbeit der Akteure“ die Cum/Ex-Sachverhalte erst seit wenigen Jahren bekannt seien. Die späte Aufdeckung habe seine Ursache darin, dass die an den Geschäften Beteiligten in der Vergangenheit Kontakte in Verwaltung und Politik zur Verschleierung und zur Durchsetzung eigener Belange mittels bewusst verzerrender Tatsachen genutzt haben sollen. Eine strafrechtliche Einordnung sei erst mit Hilfe von Kronzeugenaussagen gelungen.
Diese Begründung lässt jedoch völlig das Versäumnis der Behörden bzw. des Staates außer vor.
Es bleibt zu hoffen, dass sich gegen diese tiefgreifende Gesetzesänderung Widerstand regt und Vernunft gegen eine vorschelle Regelung durchsetzt.
Über den Fortgang und die weiteren Entwicklungen zu den geplanten Gesetzesänderungen werden wir an dieser Stelle zu gegebener Zeit berichten.