Gute Nachrichten für Verlage und die „Berichterstattung über Tagesereignisse“

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Der BGH urteilt in den Verfahren „Afghanistan Papiere“ und „Reformistischer Aufbruch“ zur Reichweite der Schranken im Urheberrecht bei Presseveröffentlichung.

Die Geschwindigkeit der Informationsverschaffung und –vermittlung hat sich durch die zunehmende Nutzung von digitalen Medien stark erhöht. Freilich hat durch die Möglichkeit, Inhalte einfach und schnell zu multiplizieren und über das Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, auch das Urheberrecht an Bedeutung gewonnen. Das ist eine Binsenweisheit. In den letzten Jahren erst zunehmend an Konjunktur gewonnen haben jedoch Fälle, in denen das Urheberrecht als Vehikel dient, die Veröffentlichung brisanter Informationen durch die Presse zu verhindern. Ein solcher – gleichsam „zweckfremd“ anmutender – Einsatz des Urheberrechts wird in der öffentlichen Wahrnehmung mit Befremden wahrgenommen; das Schlagwort vom „Zensurheberrecht“ macht die Runde. Das hergebrachte Instrumentarium des Urheberrechts, das die Nutzung von Werken für Presseveröffentlichungen auch ohne Zustimmung des Rechtsinhabers sicherstellen soll, namentlich das sog. „Zitatrecht“ sowie die Schranke für die „Berichterstattung über Tagesereignisse“, waren aufgrund ihres traditionell engen Anwendungsbereichs bislang kaum geeignet, der Presse den notwendigen Handlungsspielraum zu eröffnen. Nachdem der EuGH auf zwei Vorlagen des BGH hin den Weg für eine flexiblere Auslegung dieser Schrankenbestimmungen vorgezeichnet hat, wird sich dies jedoch künftig ändern. Am 29.04.2020 entschied der BGH in den Verfahren „Afghanistan Papiere“ (dazu unter 1.) und „Reformistischer Aufbruch“ (dazu unter 2.), dass eine unliebsame Veröffentlichung durch die Presse nicht ohne weiteres unter Berufung auf das Urheberrecht untersagt werden kann, da bei journalistischer Aufarbeitung die Schranke der „Berichterstattung über Tagesereignisse“ das Urheberrecht weiter als bislang angenommen beschränken kann.

1. Afghanistan Papiere

Im Verfahren „Afghanistan Papiere“ (I ZR 139/15) klagte die Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch das Verteidigungsministerium) gegen die Funke Medien Gruppe auf Unterlassung einer Veröffentlichung sogenannter Lageberichte.

Die Klägerin erstellt regelmäßig Lageberichte über Auslandseinsätze der Bundeswehr, die sie als UdP („Unterrichtung des Parlaments“) an Abgeordnete übermittelt. Die UdPs werden als Verschlusssache (VS – nur für den Dienstgebrauch) eingestuft. Die Beklagte stellte 2012 einen Antrag auf Einsichtnahme in die UdPs von 2001 bis 2012, der abgelehnt wurde. Auf unbekanntem Wege erhielt die Beklagte dennoch einen Großteil der UdPs, die sie auf einem Online-Portal als „Afghanistan Papiere“ veröffentlichte. Die Klägerin sah darin ihr Urheberrecht verletzt.

Nachdem die Klägerin in erster Instanz obsiegte und die Berufung der Beklagten erfolglos war, setzte der BGH das Verfahren zunächst aus und legte dem EuGH Fragen zur Auslegung der InfoSoc-Richtlinie (2001/29/EG) vor. Nachdem der EuGH im Juli 2019 die Fragen beantwortete, sprach der BGH nun am 29.04.2020 das abschließende Urteil in diesem Verfahren:

Der BGH hob das Berufungsurteil auf und wies die Klage der Bundesrepublik ab, da die Beklagte das Urheberrecht der Klägerin nicht verletzt habe. Das Einstellen der UdPs in dem Online-Portal sei von der Schutzschranke für Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) umfasst.

Für die „Berichterstattung“ ließ der BGH, anders als das Berufungsgericht, ausreichen, dass die UdPs in systematisierter Form mit Einleitungstext, weiterführenden Links sowie Einladung zur interaktiven Partizipation im Online-Portal vorhanden seien. Ein Tagesereignis sei aufgrund der öffentlichen Darstellung des (zu diesem Zeitpunkt noch andauernden) Auslandseinsatzes in Afghanistan, in der Diskussion des Einsatzes als Friedensmission oder als Beteiligung an einem Krieg zu sehen.

Das Kernelement des Urteils ist wohl in der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Berichterstattung zu sehen. Der BGH führt hierzu aus, dass die Berichterstattung mit Blick auf den Zweck der Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten, des Rechts auf Meinungs- und Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) entsprechen muss. Hier kommt auch eine vom EuGH beantwortete Vorlagefrage, nämlich ob es sich bei den Schranken des Art. 5 der InfoSoc-Richtlinie um vollständig harmonisiertes Unionsrecht handelt, ins Spiel. Relevant ist dies, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Grundrechte des Grundgesetzes bei der Auslegung und Anwendung unionsrechtlich bestimmten innerstaatlichen Rechts nur dann maßgeblich sind, wenn es sich nicht um vollständig unionsrechtlich determiniertes Recht handelt. Bei solchem müsste auf die Grundrechte der Grundrechtscharta zurückgegriffen werden. Der EuGH antwortete hierzu, dass aus der Formulierung in der Richtlinie (u.a. „soweit es der Informationszweck erfordert“) sich ergebe, dass die Bestimmungen nicht vollständig harmonisiert werden, sondern den Mitgliedstaaten ein Umsetzungsspielraum zur Verfügung steht.

Demzufolge stellte auch der BGH hier auf die Grundrechte des Grundgesetzes ab und nahm die Abwägung zwischen Art. 14 GG und dem Urheberpersönlichkeitsrecht sowie Art. 5 GG, der Meinungs- und Pressefreiheit vor. Letztgenannte überwiege, da Art. 14 GG hier nur geringe Bedeutung habe, da eine wirtschaftliche Verwertung der UdPs ohnehin nicht möglich sei. Das Urheberpersönlichkeitsrecht schütze zudem nur das urheberrechtsspezifische Interesse, darüber zu bestimmen, ob eine erstmalige Veröffentlichung gewollt sei und man das Werk der öffentlichen Kenntnisnahme und Kritik aussetzen möchte. Nicht davon geschützt sei aber das Interesse an Geheimhaltung. Dies gelte insbesondere, da ein Schutz bereits durch das Sicherheitsüberprüfungsgesetz, das Informationsfreiheitgesetz sowie durch strafrechtliche Bestimmungen (wie Landesverrat, Gefährdung der äußeren Sicherheit) vorhanden sei.

Es bestehe ein erhebliches allgemeines Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle staatlicher Entscheidung, sodass die Meinungs- und Pressefreiheit hier überwiege.

2. Reformistischer Aufbruch

Im zweiten, am selben Tag entschiedenen Verfahren „Reformistischer Aufbruch“ (I ZR 228/15) klagte der ehemalige Abgeordnete des Deutschen Bundestages Volker Beck gegen Spiegel Online ebenso auf Unterlassung einer Veröffentlichung eines Manuskripts.

Der Kläger verfasste ein Manuskript, in dem er eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern befürwortete. Dieses Manuskript wurde 1988 in einem Buch veröffentlicht. Der Kläger forderte den Herausgeber des Buches dazu auf, bei der Auslieferung des Buches angebliche Änderungen an Text und Überschriften kenntlich zu machen. 2013 kandidierte der Kläger erneut für den Deutschen Bundestag. Er übermittelte das bei Recherchen wiedergefundene Manuskript an verschiedene Zeitungsredaktionen um zu belegen, dass in dem Buch 1988 der Text verändert worden sei. Er stellte das Manuskript und den Buchbeitrag zudem auf seine eigene Homepage zusammen mit einem Hinweis, dass er sich von dem Inhalt distanziere. Die Beklagte veröffentlichte einen Beitrag dazu, dass der Kläger alle hinters Licht geführt habe und der Buchbeitrag keineswegs verändert, sondern nahezu identisch mit dem Manuskript sei. Beide Beiträge (das originale Manuskript und der Buchbeitrag) wurden zum Download als Link bereitgehalten. Der Kläger sah hierin sein Urheberrecht verletzt.

Das Verfahren verlief im Wesentlichen wie das Parallelverfahren „Afghanistan Papiere“. Der BGH hob das Berufungsurteil am 29.04.2020 auf und wies die Klage ab. Auch hier begründete er dies mit dem Eingreifen der Schranke für Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG).

In diesem Fall wies der BGH noch darauf hin, dass es für die Einordnung als „Tagesereignis“ irrelevant sei, dass die Hintergründe des Geschehens schon mehrere Jahre andauerten. Zu berücksichtigen sei vielmehr, dass es um die aktuelle Konfrontation des Klägers mit seinem wiedergefundenen Manuskript und seine Reaktion darauf sowie das gegenwärtige öffentliche Interesse an der Einordnung der Glaubwürdigkeit des Kandidierenden ging.

Auch hier nahm der BGH eine Abwägung vor zwischen Art. 14 GG und dem, aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht entspringenden Interesse der öffentlichen Zugänglichmachung mit dem Hinweis der gewandelten politischen Überzeugung des Klägers einerseits und der Meinungs- und Pressefreiheit andererseits. Wie im oben genannten Urteil wies der BGH darauf hin, dass mangels einer zu erwartenden weiteren wirtschaftlichen Verwertung Art. 14 GG hier nur in geringer Intensität betroffen sei. Auch dem Urheberpersönlichkeitsrecht käme nur wenig Gewicht zu. Die Beklagte habe das Manuskript gerade nicht einfach ohne einen Hinweis zu einer geänderten geistig-persönlichen Beziehung des Klägers zu seinem Werk zur Verfügung gestellt, sondern diese ggf. gewandelte Meinung gerade zum Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gemacht. Damit habe sie den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Klägers hinreichend Rechnung getragen. Aus diesen Gründen kam der BGH auch hier zu dem Ergebnis, dass das von der Beklagten wahrgenommene Informationsinteresse der Öffentlichkeit, sich ein eigenes Bild von der Unaufrichtigkeit oder Aufrichtigkeit des Klägers zu machen, höher zu gewichten sei als die Interessen des Klägers.







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